Schulsuspendierung - was kann zur Lösung beitragen?

Bei aggressiven Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern ist eine Suspendierung sicher keine Lösung, wohl aber zur zeitlich begrenzten Beruhigung manchmal unvermeidbar. Was kann zur Lösung beitragen?

Karikatur

Ursachen

Für eine mittel- bis langfristige Prävention und Bewältigung muss man sich die Ursachen ansehen: Es beginnt damit, dass wir aus der Evolution Aggression als notwendig für das Überleben geerbt haben; sie ist in unserem Stamm- und Zwischenhirn lokalisiert und läuft weitgehend unbewusst ab, wenn die entsprechenden Auslöser (Bedrohung durch Artgenossen, in die Enge getrieben werden, etc.) auftreten.

Wir haben zwar in der Evolution auch das kontrollierende, denkende, soziale Frontalhirn bekommen, aber es ist nicht immer in der Lage, dieses alte Programm im Zaum zu halten. Die Schwierigkeiten mit der Kontrolle sind durch die Umbauprozesse des Gehirns in der Pubertät noch verschärft: Das sogenannte Belohnungssystem im Zentrum des Gehirns arbeitet mit unterschiedlichen Stoffen, u. a. mit Dopamin. Die Dopaminausschüttung ist in dieser Entwicklungsphase reduziert, was dazu führt, dass Jugendliche vermehrt auf Reizsuche (Alkohol, Drogen, Risikoverhaltensweisen etc.) gehen. Das ist auch deswegen so gefährlich, weil neben dem Umbau im Belohnungssystem ein solcher im Frontalhirn stattfindet. Daher ist schon aus diesen neurobiologischen Gründen die Verhaltens- und Emotionskontrolle eingeschränkt.

In unseren Genen gibt es unterschiedliche Dispositionen zu mehr oder weniger Emotionalität bzw. Aggressivität. Und dann wissen wir seit einiger Zeit auch von sogenannten epigenetischen Veränderungen. Dabei wirken durch äußere Einflüsse chemische Schaltermoleküle auf Genabschnitte ein und bewirken Unterschiede in den Ablesevorgängen an den Genen und daraus resultierend unterschiedliche Verhaltensweisen. Besonders die vorgeburtliche Zeit ist da anfällig: So können Stress der werdenden Mutter, Infektionen, Alkohol, Nikotin die Basis legen für spätere Verhaltensauffälligkeiten der Kinder. Und dann kommt natürlich noch die ganze Entwicklung ab der Geburt dazu: Defizite der emotionalen Bindung in den ersten drei Lebensjahren (siehe u. a. die Diskussion um Krabbelstuben), Probleme beim sozialen Lernen und bei der Emotionsregulierung in der Kleinkindzeit und noch manch anderes.

Prävention

Außer bei den Genen kann man in den anderen genannten Bereichen Präventionsmaßnahmen setzen, vor allem der Zeit von der Geburt bis zum Schuleintritt ist große Aufmerksamkeit zu widmen (siehe die herausragende Bedeutung der Elementarpädagogik). Aber das hilft kurzfristig in der Akutphase nichts! Was kann man aktuell in den Schulen tun?

An erster Stelle muss die Prävention stehen! An dieser Stelle sei auf eine der Theorien zur Aggressionsentstehung, die sogenannte Frustrations-Aggressions-Hypothese hingewiesen, kurz zusammengefasst: Aggressionen können Frustrationen auslösen, Frustrationen Aggression. Welche Frustrationen werden in Schulen erzeugt? Dazu gibt es viele Gründe, z. B. Misserfolge, soziale Konflikte mit den Mitschülerinnen und Mitschülern, Umgangsformen der Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, und auch vielleicht langweiliger Unterricht, u. a. Derartige Frustrationen erzeugen Stress, und dieser hat biologisch eine klare Konsequenz: Flucht, Erstarrung oder Kampf! Und dieser Kampf kann dann eskalieren und sich an Feindbildern (Mitschüler, Lehrkräfte) austoben. Daher ist es eine wichtige Prävention, diese Energien abzubauen, bevor es zum Ausbruch kommt.

Da der biologische Stressmechanismus auf Bewegung ausgerichtet ist, ist eine effektive Vorbeugung, für ausreichend Bewegung zu sorgen, und zwar nicht nur im Sportunterricht, sondern im gesamten Schulalltag. Eine „Bewegte Schule“ ist dringend erforderlich! Viele Anregungen finden sich dazu in www.bewegteschule.at.

Ganz wichtig sind alle Bemühungen um Soziales Lernen, das explizit in eigenen Unterrichtsphasen zu aktuell besonders relevanten Themen (Konflikte in der Klasse, etc.) stattfinden kann. Aber am besten ist es, wenn solche Themen implizit in geeigneten Fächern (z. B. Deutsch, Sport, Religion) eingebaut werden. So ist beispielsweise die Methode des Rollenspiels sehr zu empfehlen. Im Rollentausch kann eine Täter-Opfer-Umkehr realisiert werden: Das Hineinversetzen in das Opfer kann durchaus Einsicht bewirken. Auch theaterpädagogische Maßnahmen sind hilfreich, genauso wie geeignete Themen im musisch-ästhetischen Bereich, die z. B. auch zu läuternden Abreaktionen (Katharsis) führen können. Aber was hilft das alles, wenn es zu akuten Vulkanausbrüchen kommt?

Akutmaßnahmen

Schon in der Zeit der Suspendierung bedarf es therapeutischer Maßnahmen, die aber dann kontinuierlich professionell weitergeführt werden. Die Lehrerinnen und Lehrer können wertvolle Beiträge liefern, die präventiv und auch als Vorbereitung auf mögliche nächste Ausbrüche wirken. Sowohl von professionellen Therapeutinnen und Therapeuten als auch von den Lehrkräften werden selbstverständlich Gespräche als Basis zu führen sein. Diese müssen aber in der Schule unter vier Augen stattfinden, weil die potentiellen Aggressoren sonst in der Klasse in ein pubertäres Imponiergehabe (Stärke zeigen, etc.) gedrängt werden könnten. Wenn derartige Gespräche auf fruchtbaren Boden fallen, könnten daraus Verträge über wichtige Verhaltensregeln resultieren.

Jetzt kommt leider das Aber: Gespräche und Regeln wenden sich an die kognitiven Areale im Gehirn (Frontalbereiche), während aggressive Verhaltensweisen in der Tiefe des Gehirns entstehen. Zu nennen sind das Zwischenhirn und die unteren Regionen des sogenannten Limbischen Systems (für die Emotionen zuständig). Und die Funktionen in diesen Bereichen sind zu einem großen Teil unbewusst und unserem Willen nicht oder nur schwer zugänglich. Das heißt, man muss Maßnahmen antrainieren, die im Fall des Falles den Ausbruch verhindern. Dazu eignen sich gut Muskelentspannungsübungen und Atemtechniken, bis hin zu Achtsamkeitsmeditationen. Solche Übungen sind gut in den ganz normalen Unterricht einbaubar. Selbstverständlich sind sie mit den betreffenden Schülerinnen und Schülern im Einzelgespräch auch auf die passierten Aggressionssituationen zu beziehen und als Hilfen anzubieten!

Resumè

Es kann viel im normalen Schulalltag zur Prävention getan werden, sodass die Aggressionsausbrüche reduziert werden. Wenn es dann doch dazu kommt, ist zur Deeskalation eine vorübergehende Suspendierung wahrscheinlich nicht vermeidbar! Aber es muss alles getan werden, natürlich nicht nur durch die Schule, diesen schwierigen Jugendlichen zu helfen.

Auch wenn es jetzt als Werbung angesehen wird, möchte ich doch auf mein Buch hinweisen: Kinder und Künstliche Intelligenz – Sinn-volle Bildung für die Welt von morgen. Trauner-Verlag (2022). Der Titel scheint nicht das Thema des aggressiven Verhaltens zu implizieren, aber es finden sich im Buch viele Themenbereiche, die auch für das Verstehen, die Prävention und den Umgang mit Konfliktsituationen Relevanz besitzen.

Über unseren Gastautor Dr. Hans Schachl

Hauptschullehrer, Doktorat in Psychologie, Prof. an der PA/PH Linz, 23 Jahre in der Leitung (1989-1999 Abteilungsvorstand, 1999-2006 Direktor, 2006-2012 Rektor).
Umfangreiche Tätigkeit in Fort- und Weiterbildung. Gastvorträge/Lehraufträge zu „The Learning Brain“ und anderen Themen an 15 internationalen Universitäten. Ehrensenator einer Hochschule in Riga. Full Professor der Central Universidad Nicaragua.