Vernichtender Bericht: Rückschritte bei Inklusion Behinderter im Bildungssystem

2008 hat Österreich die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert und sich damit verpflichtet, niemanden wegen Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem auszuschließen und behinderten Menschen lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Schon bei der ersten Staatenprüfung 2013 hat der unabhängige Monitoringausschuss, der die Umsetzung überwacht, Österreich kein gutes Zeugnis ausgestellt. Im nun präsentierten neuen Prüfbericht ortet er gar Rückschritte.


​​​​​​​Kontinuierliche Verletzung der Menschenrechte im Bildungsbereich

Bei seiner letzten Überprüfung hatte der unabhängige Monitoringausschuss vor allem Mängel bei der Umsetzung eines Bildungssystems, in dem Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, festgestellt. Zehn Jahre später sieht er hier nicht nur kaum Fortschritte. "Gerade in den letzten Jahren vermehren sich die Anzeichen für Rückschritte", so die Kritik in dem Bericht, der am Montag vorgestellt wird. "Insgesamt zeigt sich eine kontinuierliche Verletzung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen im Bereich Bildung."

Kein Bemühen um Veränderung erkennbar

Bildungspolitik und -administration würden nicht genügend systematische Anstrengungen unternehmen, um das System aus Sonderschulen und Integrationsklassen zu verändern. Der Prozentsatz behinderter Schülerinnen und Schülern in Regelschulen verringere sich vielmehr "besorgniserregend". Ambitionierte Versuche früherer Regierungen, inklusive Bildung über Modellregionen voranzutreiben, seien 2018 nach nur drei Jahren Laufzeit eingestellt worden. In anderen Fragen wie dem Recht auf einen Unterricht mit Österreichischer Gebärdensprache herrsche Stillstand.

Zu wenig Geld für inklusive Bildung

Inklusive Bildung sei zudem "strukturell chronisch unterfinanziert". Weil die Zusatzressourcen für Schüler mit Behinderung bei 2,7 Prozent der Pflichtschüler gedeckelt sind, wird laut Monitoringausschuss derzeit nur knapp die Hälfte der Kosten für inklusive Bildung in den Ländern übernommen. Die Folge sei Qualitätsverlust bei der Inklusion in Schulen, deshalb würden auch immer weniger Lehrerinnen und Lehrer in inklusiven Settings arbeiten wollen. Außerdem würden vorhandene Ressourcen immer noch in eine Stabilisierung bzw. sogar einen Ausbau von Sonderschulen fließen.

Mangel an Fachpersonal für Inklusion

Im Kindergartenalter müssten Kinder mit Behinderung mangels Rechtsanspruch und des in vielen Regionen eklatanten Mangels an passenden Plätzen oft jahrelang auf ein Angebot warten, der Mangel an Fachpersonal für Inklusion wirke sich negativ auf die Qualität und das Platzangebot aus. Auch Unterstützungssysteme wie individuelle Assistenz oder mobile Unterstützung etwa durch Ergotherapie würden fehlen.

Ausgeprägte Gleichgültigkeit attestiert

Der Monitoringausschuss attestiert der Politik außerdem eine ausgeprägte Gleichgültigkeit und Passivität bezüglich der Verpflichtungen zur Umsetzung der Ziele der UN-Behindertenkonvention. Aus Sicht des Ausschusses notwendige Änderungen (etwa ein Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr für Schüler mit Behinderungen oder ein Recht auf persönliche Assistenz) müssten eingeklagt werden, damit die Bildungsadministration reagiere.

NAP mit Rückschritten

Bei der Einbindung von Menschen mit Behinderungen bzw. ihren Organisationen gebe es außerdem nur "Pseudo-Partizipation". Das sei besonders deutlich geworden bei der Erstellung des Bildungskapitels im Nationalen Aktionsplan Behinderung (NAP), auf den das Bildungsministerium punkto Umsetzung Inklusiver Bildung gern verweise. Die darin für 2022 bis 2030 enthaltenen Maßnahmen hätten aber nicht das Potenzial für einen substanziellen Wandel, in seinen Ansprüchen falle das Bildungskapitel im NAP sogar hinter die Ansprüche des vorangegangenen Nationalen Aktionsplans zurück.

Den Nationalen Aktionsplan Behinderung 2022 - 2030 gibt es hier zu Download​​​​​​​!