Nord - KOREA : Kim Jong Il - die rote Sphinx

Gefährlicher Mann, harmloser Irrer?

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Der "Liebe Führer" Kim Jong Il führt Nordkorea als "Volksrepublik Skurrilistan": Einmal fürchterlich, oft lächerlich, immer unberechenbar.

 

Ist die "rote Sphinx" von Pjöngjang ein gefährlicher Mann oder nur ein harmloser Irrer? Mal läßt er Raketen über Japan abfeuern, mal spricht er von friedlicher Wiedervereinigung mit Südkorea. Heute bettelt er um Hungerhilfe, morgen droht er mit Atomkrieg. An guten Tagen kann er selbst der eisigen Madeleine Albright Sympathien abringen, an schlechten verprellt er sogar Südkoreas Staatschef Kim Dae Jung, der ihm devot seine "Sonnenscheinpolitik" anträgt.

Steuert Kim sein Land und die ostasiatische Region bewußt in eine neue Tragödie oder führt er nur sorglos Regie in einer gigantischen Staatskomödie? Kim Jong Il lebt als Mysterium, weil Nordkorea aus sich ein einziges Staatsgeheimnis macht.


 

Was ist nicht alles über Nordkoreas Führer Kim Jong Il geschrieben und noch viel mehr vermutet worden: ein Playboy, der den ganzen lieben Tag über mit blonden Schwedinnen tändelt, ein Trunkenbold mit unersättlichem Rotweindurst soll der 60jährige sein, eine gnadenlos zockende Spielernatur und Kettenraucher war er auch.


 

Weil er noch nie eine große Rede gehalten hat, hielten ihn Geheimdienste für sprachlich, vielleicht auch geistig minder bemittelt. Von einem Schlaganfall war die Rede, der den "Lieben Führer" rechtsseitig gelähmt hat, was seine unsicheren Bewegungen erklären soll. Epilepsie, Leberzirrhose, Nierenkrebs diagnostizierten französische Ärzte - aus der Ferne.

 

Alles, was dieses asiatische enfant terrible bisher umgibt, ist Mystik. Widersprüche auf breiter Front, fast nichts läßt sich mit Fakten belegen. Nach nordkoreanischer Biographie kam Kim Jong Il am 16. Februar 1942 auf dem Gipfel des Paekdu zur Welt, den Koreaner seit Menschengedenken für einen heiligen Berg halten. Nach südkoreanischen Geheimdienstagenten fand die staatstragende Geburt im russischen Chabarowsk statt, wo sein Vater - der spätere "Große Führer" Kim Il Sung - als Gärtner arbeitete. Paekdu paßte der Propaganda wohl besser zur Entstehung einer kommunistischen Legende, und außerdem legt es nahe, daß Kim senior zu diesem Zeitpunkt tapfer gegen die japanische Kolonialmacht kämpfte, was sich durch Augenzeugenberichte nicht untermauern läßt.

 

Kim Jong Il trägt stets eine ranglose Khaki-Uniform in Form eines Strampelanzugs, läßt sich aber offiziell Marschall titulieren. Die Parteilyrik besingt ihn als "General aus Stahl, der in hundert Schlachten hundert Siege errang", obwohl sich keiner erinnern kann, bei welcher Truppe er je gedient hat. Auch die sagenhafte Ausbildung zum Kampfpiloten Ende der fünfziger Jahre in der damaligen DDR, wo er angeblich einen Absturz überlebte und deshalb seither aus Flugangst prinzipiell nur mit dem Zug oder Auto reist, ist wohl erfunden.

 

In Wirklichkeit hat Kim Il Jong an der Staatsuniversität Pjöngjang die rigiden Lehren der marxistisch-leninistischen Ökonomie verinnerlicht und 1964 eine Abschlußarbeit zum eher profanen Thema "Rolle des Verwaltungsbezirks beim Aufbau des Sozialismus" vorgelegt. Das befähigte ihn fünf Jahre später immerhin zur Parteifunktion des Vizechefs für Propaganda und Agitation.


 

Bald begann Kader Kim sich an der "Großen Sonne" seines Vaters zu erwärmen, stieg 1974 direkt vom eher bedeutungslosen Direktor für Kunst und Kultur zum Mitglied des Politbüros der kommunistischen Partei der Werktätigen Koreas in den politischen Olymp auf. 1991 ernannte Diktator Kim Il Sung seinen Sohn zum Oberbefehlshaber der Armee und gründete damit die erste kommunistische Dynastie der Weltgeschichte, bevor er drei Jahre später an Herzversagen starb.


Seither befehligt Kim Jong Il das drittgrößte Heer der Welt. An der innerkoreanischen Waffenstillstandszone entlang des 38. Breitengrades sind etwa 1,1 Millionen extrem gedrillte Pflichtsoldaten aufgestellt. Bis zu acht Millionen Reservisten, darunter fanatisch motivierte Fraueneinheiten, warten auf ihren Einsatzbefehl. Mehr als 11.000 Artilleriegeschütze sollen auf Südkorea gerichtet sein. Zwischen 600 und 750 Raketen mit einer Reichweite, die auch Japan und Hawaii treffen könnten, warten abschußbereit auf festen und mobilen Rampen. Etwa 3700 Panzer und 700 Kampfflugzeuge könnten jederzeit Südkorea angreifen.


 

"Streng genommen", so fürchtet der Seouler Militärexperte Kim Dae Woo vom Korea Institut für Verteidigungsanalyse, "werden wir von einem erratischen Kriegsgott bedroht."

 

Man müßte also annehmen, daß Kim Jong Il sein "Skurrilistan" wie eine absolute Monarchie führen kann. Aber ganz so reibungslos scheint es doch nicht zu laufen. Immerhin dauerte es drei Jahre, bis Kim junior das erste der Ämter seines gottgleichen Übervaters Kim Il Sung antreten konnte.

 

Offenbar lief hinter den Kulissen ein Machtkampf, der möglicherweise immer noch nicht definitiv entschieden ist. Wer führt Nordkorea wirklich: Kim, die Kader, die Kommandeure oder jeder für sich? Systemerfahrene Politiker wie die frühere PDS-Größe Gregor Gysi machten bei Pjöngjang-Besuchen eine Patt-Situation zwischen Parteikadern und Militärs aus. Ob Kim Jong Il dabei an der Spitze - oder als schillernde Symbolfigur aber machtlos zwischen den Fronten - steht, ist ungewiß.

 

Erst im Oktober 1997 "krönte" das Zentralkomitee der kommunistischen Partei Kim Jong Il zu seinem Generalsekretär. Zur Jubelfeier wurden trotz Hungersnot 60.000 Flaschen Wein und tonnenweise Naschwerk importiert. Seit September 1998 ist Kim auch offiziell erster Mann im Staate. Damals bestätigte die Oberste Volksversammlung - das nordkoreanische Scheinparlament - den Diktator als Führer der Nationalen Verteidigungskommission und nannte dieses Amt erstmals "das höchste im Lande".

 

Seither stellen die parteigelenkten Medien Pjöngjangs den jungen Kim als eine Mischung aus Einstein, Marx und Napoleon dar - ein Genie der Extraklasse. Bei der oft lächerlichen Propaganda stellt sich die Frage, ob die Nordkoreaner ihren "Weisen Führer" wirklich derart verehren oder nur unheimliche Angst vor der scheinbar allgegenwärtigen Partei-Staatssicherheit haben. Zum 50. Jahrestag der Republikgründung im September 1998 jubelte die Staatsagentur KCNA: "Sonne, Mond und Sterne, alle lieben unseren großen Führer Kim Jong Il". Sein Geburtstag am 16. Februar, schon seit 1976 ganz offiziell ein regulärer arbeitsfreier Tag, mutierte 1982 amtlich zum "öffentlichen Feiertag" und darf seit 1986 sogar zwei Tage lang begangen werden: "Organe, Betriebe und Familien haben zur Feier des Tages Staatsflagge zu zeigen", wies die Partei an.

Dem normalen Nordkoreaner kann man das vielleicht einreden. Fernsehgeräte sind auf den Einheitssender fixiert, in jeder Wohnung hängt ein Volksempfänger, der nichts anderes als Parolen und patriotische Musik verbreitet. "West-TV" aus Südkorea ist für das einfache Volk außerhalb der Partei- und Militär-Nomenklatura ebenso unerreichbar wie Internet, internationale Post oder eine Fernsprechleitung.

Abstimmen können wenigstens einige Nordkoreaner nur mit den Füßen. Wer von Kims Untertanen in der Grenzregion zu China lebt oder in sibirischen Wäldern Holz schlägt, hat zumindest die Chance, einen Weg aus diesem Zuchthausstaat zu finden. Immer mehr Flüchtlinge erreichen ausländische Botschaften in Peking oder kommen im Boot nach Südkorea.

Die Lebenslage im selbsternannten "Paradies der Werktätigen" muß verheerend sein. Nach südkoreanischen Regierungsangaben hat die Kommandowirtschaft in diesem Jahr bestenfalls stagniert aber auch nur, weil sie noch Hilfe aus dem Ausland erhielt. Trotz Waffenverkäufen, die nicht in der Statistik auftauchen, klafft ein gewaltiges Handelsdefizit. Dagegen wächst die internationale Isolation mit jedem politischen Irrsinn Pjöngjangs. Selbst der Hauptverbündete China wendet sich ab und Südkorea zu. Der bilaterale Handel Pekings mit Seoul ist schon 20mal größer als der Warenverkehr mit Kim.

 

Nordkorea erstickt an Mißwirtschaft und Militarismus. Die Armee schluckt 40 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Vor der Ernte im vergangenen Sommer "konnten die staatlichen Ausgabestellen für Lebensmittel nur noch 150 Gramm Lebensmittel pro Kopf und Tag verteilen, oftmals von sehr geringem Nährwert. Minimum wären eigentlich 500 Gramm", beklagen Vertreter des Welternährungsprogramms der UNO.

 

Nach westlichen Schätzungen sollen in den vergangenen fünf Jahren 220.000 Nordkoreaner verhungert sein. Manche Experten sprechen sogar von vier Millionen Opfern, das wäre bei einer Bevölkerung von 22 Millionen fast ein Fünftel.

Wird der Hunger eines Tages stärker sein als Herrschaftsterror und Propaganda? Manchmal gab es schon Hoffnungszeichen auf ein "neues Denken". Nach extensiven Visiten in Rußland und China ließ Kim vor wenigen Monaten ein Stück Marktwirtschaft zu. Fast schon radikal wurden die Löhne vervielfacht und Subventionen für Preise und Tarife drastisch gekürzt. Lebensmittelkarten sollen abgeschafft, freie Produktion zugelassen werden. Reformen seien "nötig, um das Land zu stärken und die Lebensqualität seiner Bürger zu heben", ließ Kim Gäste wie den russischen Außenminister Igor Iwanow wissen.

 

Wenn der "Weise Führer" das wirklich gesagt hat und tatsächlich meint, wäre dies keine einfache Reform, sondern eine Art unvorstellbare Revolution. Bisher galt als ehernes Gesetz, daß sich Nordkorea auf dem vom Gründer-Führer Kim Il Sung gewiesenen eigenständigen Pfad bewegen soll, egal ob dieser vorwärts oder rückwärts führt. Zu den Grundfesten dieses Steinzeit-Kommunismus gehört das Prinzip "Niedriger Lohn für alle, kleine Preise auch für alle", was im Ergebnis demotivierende Gleichmacherei bedeutete.

 

Nachhaltig wird ein neuer Kurs aber nur Zukunft versprechen, wenn sich das Land gleichzeitig für ausländische Investitionen öffnet. Nach chinesischem Vorbild könnten vier bereits projektierte Sonderwirtschaftszonen entstehen. Hier ergeben sich nicht nur gute Geschäftschancen für Südkoreas Konzerne, sondern auch für europäische Anbieter.

Wie man hört, sind auch ABB, Alstrom, Fiat, Siemens oder ThyssenKrupp bereits dabei, das Terrain zu sondieren. Besonders lukrativ ist auch die 600 Kilometer lange inter-koreanische Eisenbahn, die nun nach langer Verspätung offenbar auf die Gleise kommt.

Ob dann in Nordkorea noch immer alles seinen sozialistischen Gang geht, wäre zweifelhaft. Auch Kim Jong Il dürfte wissen, daß er mit diesen kapitalistischen Enklaven zwangsläufig ideologische Schneisen schlägt. Noch scheint alles starr in Beton gegossen. Bevor er bröckelt, will das letzte altkommunistische Regime seine Existenz international absichern durch politische Anerkennung und wirtschaftliche Alimentierung. Vielleicht läßt sich so sein skurriler Kriegslärm um Atomwaffensperrvertrag und Raketentest besser verstehen.

aus , Die Presse vom

 

14.01.2003

 

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Veröffentlicht am
14.01.2003
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