Entnazifizierung in Österreich

Kompetenzorientierte Aufgabenstellung für die mündliche Reifeprüfung

  • Eine ehemalige „Adolf-Hitler-Straße“ erhält wieder ihren alten Namen. (Quelle: www.wikipedia.de)
  • Nach der Befreiung Österreichs im April 1945 stellte sich die Frage, was mit den Angehörigen des NS Partei- und Machtapparats geschehen sollte. Die Alliierten, allen voran die USA, strebten eine Entnazifizierung und Umerziehung der Bevölkerung an. Mit dem Verbotsgesetz (Juni 1945) schuf die provisorische Regierung eine Rechtsgrundlage dafür.

    Ab 1947 ging die Zuständigkeit für die Entnazifizierung an die österreichischen Behörden, die nun stärker das Ausmaß der nationalsozialistischen Aktivitäten berücksichtigten, was den Großteil der Registrierten zu „Minderbelasteten“ machte. Eine offene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit  unterblieb, die persönliche Verstrickung so mancher Politiker und Funktionäre wurde verdrängt und blieb ungesühnt.

    Das Amnestiegesetz von 1957 zog dann überhaupt einen Schlussstrich. 

Aufgabenstellungen

  1. Fassen Sie die Kernaussagen von M1 und M2 zusammen.

  2. Analysieren Sie anhand von M1 und M2, warum das Interesse an einer umfassenden Entnazifizierung rasch erlahmte und ob die politischen Milde gegenüber „minderbelasteten“ Mitläufern gerechtfertigt war.

  3. Beurteilen Sie anhand von M3 den Stellenwert einer kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit – einer offiziellen Entschuldigung bei den Opfern – in den letzten beiden Jahrzehnten und diskutieren Sie, ob der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Österreichs Schulen heute ausreichend Platz eingeräumt wird, um rechtsextremem und fremdenfeindlichem Gedankengut entgegenzuwirken.

Materialien

Material 1

Aus der gesamten Rechtsvorschrift für das Verbotsgesetz (1947)

§18. Belastete Personen[…]haben die nachstehenden Sühnefolgen zu tragen:

b) Sie sind aus einem öffentlich-rechtlichen oder sonstigen Dienstverhältnis zum Bund, zu den Ländern (zu der Stadt Wien), zu den Gemeinden, zu sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften […] Fonds, Anstalten, Betrieben und Unternehmungen sowie zur Österreichischen Nationalbank entlassen. […] Sie können an einer Hochschule als Privatdozent nicht zugelassen werden.

c) Sie sind in der gesamten Wirtschaft von der Bekleidung eines leitenden Postens […] ausgeschlossen.

d) […]

e) Sie können die Berufe eines öffentlichen Wirtschaftsprüfers, eines Steuerberaters, […]eines vereidigten Buchprüfers, […] eines Finanz- und Wirtschaftsberaters sowie eines Gebäudeverwalters nicht bekleiden; […] die Gewerbe, die auf mechanischem oder chemischem Wege die Vervielfältigung von literarischen Erzeugnissen oder den Handel mit solchen zum Gegenstand haben, […]sowie Theater-, Konzert-, Kino-, Varieté-, Zirkus- und andere Veranstaltungsunternehmungen, […]betreiben.

f) Sie können weder den Beruf eines Rechtsanwaltes […],  eines Notars […], eines Verteidigers in Strafsachen, eines Patentanwaltes […] ausüben noch in den Kanzleien der obengenannten Personen beschäftigt sein. Sie können ferner den Beruf eines beratenden Ingenieurs oder eines behördlich autorisierten und beeideten Ziviltechnikers und den Beruf eines Arztes nicht ausüben. Schließlich können sie bis zum 30. April 1955 den Beruf eines Zahnarztes, Pharmazeuten, Dentisten (Zahntechnikers) oder eines Tierarztes nicht ausüben.

Quelle: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000207&ShowPrintPreview=True  [2.1.2014)


Material 2

Aus einer Studie über die gesellschaftliche Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten in den BSA (Bund sozialistischer Akademiker)

Bereits 1946 begann ein Wettlauf der beiden Großparteien um die Gunst der „einfachen“ NSDAP-Mitglieder. So schloss sich die SPÖ den Forderungen der ÖVP nach verstärkten Amnestierungen der „Ehemaligen“ an, von denen inzwischen viele versucht hatten, eine Ausnahme von der Registrierung auf Basis des Paragraphen 27 des „Verbotsgesetzes“ […] zu erreichen. […] Diese massiven Amnestierungsbestrebungen riefen allerdings den Widerstand der Alliierten auf den Plan. Das zeigte sich besonders beim Zustandekommen des „Nationalsozialistengesetzes“ von 1947: So wurde das auf einer Drei-Parteien-Vereinbarung beruhende und im Juli 1946 vom Nationalrat beschlossene Verfassungsgesetz vom Alliierten Rat beeinsprucht, der es für viel zu milde hielt und bis  […] Februar 1947 an die 50 verschärfende Abänderungen einbrachte. Durch das rigide Vorgehen der Alliierten trug das „NS-Gesetz“ sehr bald das Stigma des „Fremdbestimmten“ [und galt als] „Gesetz, das keiner wollte“ […]

Ab 1947/48 begann sich das gesamtgesellschaftliche Klima in Österreich zugunsten der ehemaligen Nationalsozialisten massiv zu verändern. Der „Geist von 1945“ war abgeflaut, „in der Weltpolitik beendete der Kalte Krieg zwischen Ost und West die Anti-Hitler-Koalition, Antikommunismus trat anstelle des Antifaschismus“. Vor allem der Kalte Krieg hatte das Interesse der Alliierten an der Fortführung einer harten Entnazifizierung rasch beendet. Die Weichen waren auch vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die von der „Kriegsgeneration“ (700.000 Ex-NSDAP-Mitglieder und 1,2 Mio. Kriegsteilnehmer) dominiert wurde, in Richtung Integration der „Ehemaligen“ gestellt. Eine erste Amnestiewelle war die Folge.

Quelle: Zwischenbericht: Die Rolle des Bundes Sozialistischer Akademiker (BSA) bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten, geleitet von Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer, Wissenschaftlicher Leiter des DÖW; Sachbearbeiter: Mag. Peter Schwarz, DÖW; im Internet unter: https://www.bsa.at/sites/default/files/historikerbericht_zwischenbericht.pdf (2.1.2014) 


Material 3

Auszüge aus Vranitzkys Rede vor der Hebräischen Universität Jerusalem 
(Franz Vranitzky, SPÖ, war 1986 bis 1997 österreichischer Bundeskanzler)

Wir müssen der Katastrophe ins Auge schauen, die von der Nazi-Diktatur über mein Land gebracht wurde: Hunderttausende Österreicher, viele von ihnen Juden, wurden in Gefängnisse und Konzentrationslager geworfen, kamen in den Nazi-Schlachthäusern um oder wurden gezwungen zu fliehen und alles zurückzulassen[…] Viele weitere Österreicher starben auf dem Schlachtfeld und in den Bombenschutzräumen.

Es gab jene, die mutig genug waren, dem Wahnsinn aktiv Widerstand zu leisten oder versuchten, den Opfern zu helfen und dabei ihr eigenes Leben riskierten. Aber viel mehr gliederten sich in die Nazi-Maschinerie ein, einige stiegen in ihr auf und gehörten zu den brutalsten und scheußlichsten Übeltätern.

Wir müssen mit dieser Seite unserer Geschichte leben, mit unserem Anteil an der Verantwortung für das Leid, das nicht von Österreich – der Staat existierte nicht mehr –, sondern von einigen seiner Bürger anderen Menschen und der Menschheit zugefügt wurde. Wir haben immer empfunden und empfinden noch immer, dass der Begriff "Kollektivschuld" auf Österreich nicht anzuwenden ist. Aber wir anerkennen kollektive Verantwortung, Verantwortung für jeden von uns, sich zu erinnern und Gerechtigkeit zu suchen.

Wir teilen die moralische Verantwortung, weil viele Österreicher den Anschluss begrüßten, das Naziregime unterstützten und bei seinem Funktionieren halfen. Wir dürfen jene nicht vergessen, die unaussprechliche Schicksale erlitten, wir dürfen jene nicht vergessen, die dieses Leiden verursachten, und wir dürfen jene nicht vergessen, die Widerstand leisteten.

Wir bekennen uns zu allem, was in unserer Geschichte geschehen ist und zu den guten und schlechten Taten aller Österreicher. So wie wir für unsere guten Taten Kredit fordern, müssen wir für unsere schlechten um Verzeihung bitten– um die Verzeihung jener, die überlebt haben, und um die Verzeihung der Nachfahren der Opfer.

Quelle: Auszüge aus Vranitzkys Rede vor der Hebräischen Universität Jerusalem 10. Juni 1993, im Internet unter: http://www.dasrotewien.at/rede.html (2.1.2014)

Fußzeiel Bundesministerium für Bildung Gegestandsportale Education Group

Schnellübersicht

Fächer:

Geschichte

Erstellt von:

Veronika Mandorfer

Zeitdauer:

1 UE

Schulstufe(n)

  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
  • 11
  • 12
  • 13

Kompetenzen

Baukasten 1: Aspekt- und Konzeptorientiert

17) Urteilsbildung zu aktuellen politischen Problemen

Baukasten 2: Methoden- und Gattungsorientiert

1) Bildliche und schriftliche (historische) Quellen im historischen Zusammenhang interpretieren

9) Unterschiedliche (nationale und internationale) Darstellungen zum selben Thema vergleichen