Brauchen wir die Liebe noch? Die Entzauberung eines Beziehungsideals

Der Autor ist einerseits Religionspädagoge und evangelischer Theologe, andererseits Psychotherapeut und Supervisor. Das Buch hinterfragt zunächst gängige Ansichten von Liebe. Er sieht einen reziproken Zusammenhang zwischen Liebe und Gottesglaube. Der Mensch glaubt nicht mehr an die Existenz Gottes.

Buchtitel:Brauchen wir die Liebe noch? Die Entzauberung eines Beziehungsideals.
Autor: Natho F
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Erschienen: 2014

Zum Inhalt

Der Autor ist einerseits Religionspädagoge und  evangelischer Theologe, andererseits Psychotherapeut und Supervisor. Das Buch hinterfragt zunächst  gängige Ansichten von Liebe. Er sieht einen reziproken Zusammenhang zwischen Liebe und Gottesglaube. Der Mensch glaubt nicht mehr an die Existenz Gottes, dafür aber an die Macht der Liebe. Natho vergleicht die durchschnittliche Beziehungsdauer, die eindeutig geringer ausfällt , mit der Lebensdauer eines Tiefkühlschrankes (Seite 25). Nicht der Verlust der Liebe ist für Natho leidvoll, sondern  das Konzept der Liebe wirkt pathogen. In einem zweiten Abschnitt vertritt der Autor die Meinung, dass Liebe mehr eine Konstruktion als ein Grundgefühl darstellt. Er führt den Dichter Ovid ins Treffen, der schon vor 2000 Jahren dazu riet :" Aufrichtig liebt, wem es gelang, sich selbst in Feuer zu sprechen" ( Seite 33). Die Bindungstheorie wird ins Treffen geführt, insbesondere das Konzept eines inneren Arbeitsmodells, das zur Basis späterer  Beziehungsgestaltung wird, die sich auch in einer dauerhaften neuronalen Architektur des limbischen Systems manifestiert (Seite 39). Dazu kommt der von der Neurobiologie bestätigte starke Belohnungscharakter  des Festhaltens am Gewohnten (Seite 43). Verliebtheit bringt zusätzlich eine Wahrnehmungseinschränkung mit sich. Untersuchungen an Jugendlichen zeigten, dass Verliebtheit allein ambivalenter ist als Bindungen, bei denen auch Freundschaft eine Rolle spielt. Langjährige Partnerschaften ähneln Freundschaften (Seite 55).

Der nächste Abschnitt bringt eine kleine Kulturgeschichte der Liebe: die Liebeskulte und -götter der Antike, das paulinisch-christliche Liebesverständnis, die Erfindung des Minnedienstes  im Mittelalter . Der Autor schreibt  immer "luftig", d.h. angenehm zu lesen, nicht unnötig verkompliziert, in kurzen Kapiteln, die wie kleine Anstöße zum Weiterdenken wirken, manchmal mit recht humorigen Bemerkungen wie z.B.  vergleicht er Luther mit dem Sexualaufklärer Oswalt Kolle (Seite 87) und attestiert Luther "eine aus hypnotherapeutischer Sicht wirklich clevere Intervention" (Seite 91), nämlich, dass die eheliche Liebe der göttlichen Ordnung entspreche und somit nie flüchtig sein kann.  Der Autor setzt sich auch mit der romantischen Liebe auseinander und mit der Konstruktion der Liebe im 19. und 20.Jahrhundert, insbesondere mit dem Kapitalismus (Liebe zwischen Kaufkraft und Konsum) und Sozialismus (Liebesbeziehung als kleinste Zelle der Gesellschaft).  Im Abschnitt über neuzeitliche Konstruktionen der Liebe befasst sich Natho kritisch mit einigen Meinungen bekannter Persönlichkeiten wie Luhmann (Liebe als Kommunikations-Code fein abgestimmter Erwartungen. Kritisch:Gefühlskälte), Fromm (das Sein gegenüber dem Haben. Kritisch: überhöhte Anforderungen) etc.  und beschreibt schließlich im Abschnitt "Liebe heute"  schlussendlich die Vorteile der freundschaftlichen Beziehung. Dieses Plädoyer kulminiert im Fazit: Vollkommene Freundschaft oder unvollkommene Liebe? Gemeint ist aber gerade das Gegenteil: Die Moderatheit der Freundschaft, ihre gemäßigten Ansprüche schützen davor, mit einer idealen Liebe verglichen zu werden und zwangsläufig Frustration zu erleiden.  Freundschaft ist unvollkommen und deshalb leichter vollkommener zu leben. "Freundschaft erlaubt uns im Gegensatz zur Liebe eher, die grundlegenden Bestandteile zu nutzen und zu würdigen, die in einer Beziehung ineinandergreifen. Die Liebe dagegen gibt sich damit,..meist nicht zufrieden, sie fordert alles.." (Seite 216).

Dass Festhalten an Idealvorstellungen über Partnerschaft und Liebe eine Abwehrfunktion gegenüber der Realität erfüllen kann, ist nachvollziehbar und bekannt. Inwieweit aber die Bescheidenheit der Ansprüche eine grundsätzliche  Frustrationsabwehr ermöglicht, ist die Frage (tauscht man nicht die Gipfel und Täler gegen eine mäßig hohe Ebene?)  Nathos Argumentation überzeugt dann, wenn man die Prämisse übernimmt, dass  Liebe eine Idealkonstruktion darstellt , die in ihrer Lebensfremdheit viele Enttäuschungen bewirkt, während -  zweite Prämisse - Freundschaft leistbar, erfüllbar und veränderungsoffen  bleibt.  

Dagegen lässt sich anführen, dass Idealvorstellungen eine heuristische Wirkung entfalten, ein Streben nach Approximation, ohne Anspruch darauf, jemals - zumindest auf Erden - voll in Erfüllung zu gehen. Das ist ja auch der tiefere Sinn der Utopie, in der man nicht heimisch werden kann, weil sie keinen Ort hat,  dass man aber immer danach sucht, ohne sich frustriert Versagen vorzuwerfen. Ideale sind nicht schädlich, wenn man sich ihre Unerreichbarkeit bewusst hält. Das Sonnenlicht, dem sich die Pflanze zuwendet , würde diese verbrennen, wollte sie ihr zu nahe kommen.

Der Autor schließt seine interessanten Ausführungen, die man als spannende und anregende Lektüre genießt, mit einem Satz, bei dem der Psychotherapeut in ihm den Theologen  zur Mäßigung aufruft: "Denn das ist der Nachteil von Transzendenz: Wir haben das Vollkommene vor Augen und werden es im täglichen Leben nicht erreichen. Würdigen wir deshalb das Unvollkommene!" (Seite 216). Eine Kostbarkeit der Toleranz und des Respekts vor dem Bemühen des Erdenbürgers, dieser Gedanke! Dem wir aber gern beigesellen: "Es seien die Ideale unser Kompass!"             

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
11.05.2014
Link
https://pup.schule.at/portale/psychologie-und-philosophie/news/detail/brauchen-wir-die-liebe-noch-die-entzauberung-eines-beziehungsideals.html
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