Interreligiöse Erziehung und Bildung in Kitas

Insgesamt handelt es sich um eine vielseitige, umfassende und kohärente Argumentation für eine inklusive Einstellung im Bereich der Glaubensüberzeugung: Die interreligiöse Erziehung und Bildung wird zum anregenden Beispiel für die Akzeptanz von Verschiedenheit und für die Suche nach dem Gemeinsamen!

Buchtitel: Interreligiöse Erziehung und Bildung in Kitas
AutorInnen: Harz F
Verlag: Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Erschienen: 2014

Zum Inhalt

Obwohl das letzte Kapitel dieses Buches einen kurzen Steckbrief des orthodoxen Christentums, des Islams, Hinduismus und Buddhismus verfasst, beschäftigt sich das Buch doch hauptsächlich mit dem Islam (hier werden viele Informationen in eigens hervor gehobenen Textpassagen eingebracht), der Autor spricht aber auch mit Menschen ohne Religionsbekenntnis. Der interkulturellen Erziehung wird die interreligiöse zur Seite gestellt und die Verflochtenheit von Religion und Kultur betont. Die Perspektiven sind vielfältig: Das Kopftuchtragen z.B. kann einerseits als reine Kulturerscheinung ohne religiöse Verbindlichkeit betrachtet werden, oder als mutiges öffentliches Bekenntnis einer tief religiösen Überzeugung ( Seite 14) u. v. a . m. Der Autor meint, das mutige Zeigen des eigenen Glaubens verdiene Respekt und Anerkennung. Harz weiß sicherlich, dass der äußere Habitus unterschiedliche "Aussagen" haben kann: mutiges Bekenntnis, ja ; aber auch Befolgen einer Tradition als kultureller und somit wandelbarer Ausdrucksform ; oder Gehorsam gegenüber einem auferlegten religiösen Gebot, dessen Übertretung negative Folgen hat. Dazu kommt, dass die individuelle Intention die eine Sache, die Wirkung auf andere Menschen eine andere Sache ist. Was für den einen mutiges Bekenntnis sein mag, ist u.U. für den anderen eine Provokation.

Das Buch weist 5 Kapitel auf. Im ersten Kapitel werden Zugänge zur Thematik dargestellt: Vielfalt als Herausforderung und Chance, Fragen nach dem Gemeinsamen in der Vielfalt. Sehr lehrreich ist eine tabellarische Übersicht zu den Begriffen Kultur und Religion (Kultur als Lebensumstände, die im menschlichen Schaffen ihre Herkunft haben; Religion als Gestaltung der Beziehung zu einer höheren Macht). Dieses Kapitel bringt a) ausgewogene Informationen (z.B. die Fremdheitskompetenz zwischen Vereinnahmung und Ausgrenzung, Seite 25) , b) bedingte, d.h. die (inter-)religiöse Haltung voraussetzende Informationen bzw. Reflexionen ( z.B. die Fragen zur Sicherung der Religionsfreiheit in der Kita, Seite 38f) und leider c) tendenziöse Überlegungen (Seite 50f): Es werden Teamgespräch-Meinungen wiedergegeben, die eine gewisse Distanz zur (inter)religiösen Erziehung und Bildung bekunden. Diese Meinungen werden mit kurzen Kommentaren problematisiert, anstatt sie in einer "geistigen Freihandelszone" als Willensäußerung zu akzeptieren. Ein Beispiel kann das Gemeinte deutlicher machen. Eine Meinung lautet:" Religion ist Privatsache, das hat in der öffentlichen Bildung nichts verloren. Das würde viele Konflikte entschärfen. " Der Kommentar dazu: Darf man es sich so einfach machen? Werden Zusammenhänge ausreichend berücksichtigt? Es wird also gleich ein Manko festgestellt, anstatt die andere Meinung zu respektieren. und ihren Sitz im Leben zu suchen.

Im zweiten Kapitel wird eine Art Phänomenologie der Religiosität aufgezeigt: Religionen. Konfessionen, Religionsgemeinschaften, individuelle Glaubenseinstellungen, religiöse Sprachlosigkeit . Zwei Begriffe sind besonders interessant: verdeckte Religiosität (die religiöse Verehrung von Säkularem) und die Patchwork-Religiosität (eine individuelle Eklektik der Glaubensinhalte). Auch bei der Erziehung und Bildung gibt es verschiedene Facetten: Implizite Religiosität, religionssensible Bildung, interreligiöses Lernen..

Kapitel 3 stellt Exklusivismus und Inklusivismus (ein grenzenüberschreitendes Miteinander) einander gegenüber und gipfelt in einem fiktiven, aber exemplarischen christlich-islamischen Dialog.

Kapitel 4 bringt eine Fülle interessanter Fragen zur Reflexion der eigenen Haltung im Umgang mit religiöser Vielfalt und unter anderem auch eine ergiebige Beschreibung des interreligiösen Problemlösens : Vom Gemeinsamen ausgehen, Fremdheitsempfindungen zulassen, Rollendistanz usw. Das Problemlösen kann auch als Arbeit mit verschiedenen Dimensionen aufgefasst werden: Dimension Raum, Dimension Zeit, Dimension Erzählen, Dimension Gespräch, Dimension Biografie und Dimension Stille und Gebet.

Das Buch ist zweifellos ein interessanter Vorstoß in ein relatives Neuland! Die einzelne "Beweisführung" für di e Notwendigkeit der interreligiösen Einstellung und Verhaltensweise erfolgt von einem religiösen Standpunkt aus - es wäre interessant, wenn der Autor seine eigene Zugangsweise zum Religiösen noch transparenter machte, weil man dadurch auch seine Antworten besser "verorten" könnte. Freilich verrät der Rückendeckel, dass der Autor ev. Pfarrer und Professor i. R .für Religionspädagogik ist. Jedenfalls ist das Buch besonders wertvoll für bereits religiös verankerte Menschen, die strategische Hilfen bei der Vermittlung interreligiös ausgewogener Glaubenshaltungen suchen.

Für andere Leser/innen ist das Buch auch interessant, aber es wird darin doch von einem nicht neutralen Ort aus argumentiert. Das zeigt sich in den Kommentaren (siehe Beispiel oben), aber auch in Forderungen nach bestimmten Ausstattungen, die sofort die interreligiöse Orientierung erkennen lassen, z.B. einem interreligiösen Jahresfestkreis als Wandplakat, auf dem islamische, jüdische und christliche Feste aufgezeichnet sind. Die implizite Religiosität (das gesinnungsorientierte Verhalten ohne inhaltliche Thematisierung der Haltungen) wird weniger als eine Art religiöser Basics (ev. auch als eine naturrechtliche Manifestation) gewertet, sondern als Gefahr gesehen, Religion und Ethik gleichzusetzen und auf die religiösen Begründungen des Verhaltens zu verzichten.

Insgesamt handelt es sich um eine vielseitige, umfassende und kohärente Argumentation für eine inklusive Einstellung im Bereich der Glaubensüberzeugung: Die interreligiöse Erziehung und Bildung wird zum anregenden Beispiel für die Akzeptanz von Verschiedenheit und für die Suche nach dem Gemeinsamen! Wie weit man aber dem Autor bei seinen Konkretisierungsvorschlägen bzw. -forderungen folgt, hängt ab von der eigenen Position gegenüber Religiosität. Manche werden das, was der Autor mit aktiver Toleranz meint (Seite 84), verstehen , aber seine Anregungen schon als sehr nachdrücklich vorgebracht empfinden, andere werden den Eifer und Elan des Autors als natürliche Konsequenz aus einer gelebten Interreligiosität schätzen!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
25.03.2014
Link
https://pup.schule.at/portale/psychologie-und-philosophie/news/detail/interreligioese-erziehung-und-bildung-in-kitas.html
Kostenpflichtig
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