Stein in meiner Faust

Ein durch und durch beunruhigendes Buch!
Preuss, 1940 in Leipzig geboren, schildert anhand der sog. Truppe, wie das Gedankengut des Nationalsozialismus unter Jugendlichen der ehemaligen DDR um sich greift - und er schildert dies ohne den so gern gesehenen erhobenen Zeigefinger der Rechtschaffen ...

Ein durch und durch beunruhigendes Buch!

Preuss, 1940 in Leipzig geboren, schildert anhand der sog. Truppe, wie das Gedankengut des Nationalsozialismus unter Jugendlichen der ehemaligen DDR um sich greift - und er schildert dies ohne den so gern gesehenen erhobenen Zeigefinger der Rechtschaffenen.

Alexander Steiner, 16, nennt sich Killer und hasst abgrundtief: ganz allgemein und richtungslos, ganz spezifisch aber seine Eltern ("die Säue"), brave Kommunisten und Stasi-Spitzel, hilflos in ihrer Scheinwelt gefangen. Er ist Mitglied bei der Truppe, einer Skin-Kameradschaft, die von Lady Maria angeführt wird, die ihn in ihrer (Selbst) Zerstörungswut noch übertrifft. Zu Beginn des Romans lernt Alex einen alten Mann, der sich Sombrero nennt, kennen. (In Sombrero wird die klassische Figur des väterlichen Freundes demystifiziert.) Sombrero nimmt sich "des Jungen", dem er den Namen "Einsamer Büffel" gibt an und versucht dadurch, Halt zu geben und Halt zu finden. Einsamer Büffel pendelt auf einer verzweifelten Suche nach Selbstfindung zwischen Sombrero und Lady Maria, die eine wichtige Figur in der neuerwachten Nazi-Szene zu werden scheint, hin und her. Dieses Pendeln wird von den Lesern/-innen als qualvoll erlebt, weil ohne Beschönigungen dargestellt.

Allzuoft fehlt die Fähigkeit zur Artikulation, schlichte Gewalt ist das einzige Kommunikationsmittel. Immer wieder verlässt Einsamer Büffel Sombrero, der auf seine Weise auf eine Utopie ("Afrika!") mit sich herumträgt. Hass und unmittelbare Ausdrucksformen prägen seinen Alltag. Konsequenterweise gibt es auch kein Happy End, auch wenn der Silberstreif nicht ganz zugedeckt wird.

Preuss zeigt eine Jugend, die in einem starren System aufgewachsen ist, es als brüchig erkannt hat, aber nach der Wende ohne Halt und Bindung bleibt. Action ist angesagt, Lebensgefühl entsteht nur durch Gewalt, ein rigides System macht dem anderen Platz.

Schon Sombrero ist es so ergangen: Selbst einst Nazi, hat er nach dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands mit Hingabe an die DDR-Werte geglaubt, auch wenn er später darüber sagt: "Mir hätte eigentlich vieles bekannt vorkommen müssen." In Einsamer Büffel spiegelt sich der alte Irrweg. Nach FDJ und engstirnigem Elternhaus sucht er vorerst den Weg in neue Engstirnigkeit, in ein neues Zusammengehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl, eben das des bierseligen Nazitums.

Walter Benjamin hat einst gesagt: "Das Proletariat in seiner Verdinglichung: sprachlos." Genau das gilt für die Jugend, die Preuss hier darstellt. Sie vernehmen immer wieder nur Phrasen, "leere Sprüche", sie sehen "Säue" und "Totenschiffe." Der eigenen Angst entkommen sie nur dadurch, dass sie noch größere Angst zu verbreiten suchen.

Preuss hat dies, ich betone es nochmals, ohne Besserwisserei und "Da braucht's halt ein bisserl Politische Bildung" dargestellt; seine Botschaft gegen die Gewalt liest sich nur zwischen den Zeilen; und dies macht das Buch umso erschreckender, wenn man sich vor Augen halt, dass er gewiss zumindest einen Zipfel der Realität eingefangen hat. Für die Jugend, die hier dargestellt wird, muss man sich mehr als ein paar Sprüche, Filme, Beschwörungen, Phrasen einfallen lassen. Für alle, die ihre Arbeit gegen den Rechtsextremismus ernst nehmen, ist dieses Buch Pflichtlektüre.
(GF4/1-1994)

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/julit-deutsch/detail/stein-in-meiner-faust.html
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