Leopoldstadt

Autor STOPPARD, Tom

Verlag London: Faber&Faber 2020

Stoppard hat ja schon mal umfangreich-historisch geschrieben, nämlich die Coast of Utopia-Trilogie (s. Archiv), die sich mit der russischen Intelligenzija des 19. Jahrhunderts beschäftigt.

Diesmal besinnt sich der 82-jährige Stoppard seiner von ihm erst spät wahrgenommenen jüdischen Wurzeln; der als Tomáš Straussler in Zlín (eine Reise wert) geborene Stoppard lässt sein neues Stück vorwiegend in der titelgebenden Leopoldstadt spielen, eine reiche jüdische Familie, deren Oberhaupt Merz zum Katholizismus konvertiert ist, erlebt Höhen, Tiefen und Vernichtung. Das Stück spielt in unterschiedlichen Zeiträumen: 1899, (1900), 1924, 1938 und 1955. In jedem Abschnitt treffen wir auf die Merzsche Großfamilie; Herrmann ist 1899 ein erfolgreicher Unternehmer, 1938 ein vielfach gedemütigter Jude (denn einmal Jude, immer Jude). Wenige entkommen der Vernichtungsmaschinerie (der Schluss zählt die zahllosen Opfer auf), einer landet in Großbritannien (Leo) und weiß gar wenig von seiner Vergangenheit, sondern stimmt ein Loblied auf GB an. (Leo ist übrigens Stoppards Identifikationsfigur.)

Beeindruckend ist, wie Stoppard auf nur zwei Dutzend Seiten die Gräuel des Nazi-Regimes schildert; und am Schluss kriegt auch Österreich, das arme Opfer, sein Fett weg.

Die Aufführung, von Marber inszeniert, ist sehenswert, nicht zuletzt weil er a) auf Regieschnickschnack verzichtet und b) ein vielköpfiges Ensemble (auch Stoppards Sohn Ed spielt mit) mit leichter Hand durch Glück, Wirrnisse und Schrecken führt.

P. S. Stoppard bedankt sich ausdrücklich bei Kehlmann; der hätte ihm auch sagen können, dass er „Kanst“ (95) auf „Kannst“ ausbessern soll. Aber das ist wahrscheinlich kleinlich. Dafür wünscht sich Stoppard Kehlmann als Übersetzer.

pp. 105

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Sprache
Deutsch
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Veröffentlicht am
02.03.2020
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