Was sind "gute" Kinderlieder?

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Diese Frage ist objektiv nicht zu beantworten, weil es darauf ankommt, wer diese Frage stellt (Lehrkraft oder Kind). Wir haben dazu den Musikwissenschafter und diplomierten Pädagogen Thomas Raber befragt.

Er erläutert uns seine Ergebnisse und gibt außerdem Empfehlungen für "gute" Kinderlieder, wobei er den Fokus auf die Sichtweise der Kinder gelegt hat.

Vorhandene Studien zu Kinderliedern

Schon im Jahr 1982 führte David J. Hargreaves Studien zu musikalischen Präferenzen in drei Altersgruppen durch. Dabei stellte er damals schon fest, dass Kinder der Grundstufe 1 noch sehr offen für sämtliche Musikrichtungen sind. Die jüngeren Kinder seien demnach "offenohriger".
Mit zunehmendem Alter schränkt sich die präferierte Musik immer mehr in Richtung Popmusik ein.
Die Feststellung der musikalischen Vorlieben der Kinder sagt dennoch nichts über deren Bereitschaft, sich auch mit nicht präferierter Musik auseinanderzusetzen, aus. Man darf also nicht den Fehlschluss ziehen, dass Kinder nur an jenem Musikunterricht Freude haben, der sich mit ihrer Lieblingsmusik befasst.
Eine aktuelle Studie von C. Louven und A. Ritter befassst sich mit dieser Thematik. Sie kamen zum Ergebnis, dass viele Kinder offen und neugierig sind für Neues, auch wenn dies nicht dem persönlichen Geschmack entspricht.

Wie sehen die Beurteilungskriterien der Kinder und Lehrkräfte nun im Detail aus?

Bewegungspotential

Zunächst stellte sich Raber die Frage, ob es für die Kinder wichtig sei, dass zu einem Lied Bewegung oder Tanz möglich ist. Er hat dazu in 2 Volksschulklassen eine Befragung durchgeführt. Mehr als die Hälfte der befragten Kinder finden es "wichtig", sich zu einem Lied bewegen zu können. Das bestätigte auch eine Studie von C. Cohrdes, F. Platz und R. Kopiez.
Was könnte diese Erkenntnis nun für den Schulalltag im Musikunterricht bedeuten? Grundsätzlich kann man sagen, dass Bewegung den Spaßfaktor erhöht. Wichtig ist es zu erkennen, dass es immer Kinder geben wird, die die Bewegung ablehnen, was aber nicht gleich bedeutet, dass sie auch das Lied ablehnen. Damit muss der Pädagoge bzw. die Pädagogin umgehen lernen.

Gemeinsames Singen

Genauso wie beim Tanz und der Bewegung ist für die Kinder auch wichtig, dass sie mitsingen können. Vor allem das gemeinsame Singen stellt einen hohen Spaßfaktor dar.
Es ist jedoch auch ein Ergebnis in Abhängigkeit mit der Fragestellung eins zur Bewegung erkennbar. Das bedeutet, dass Kinder, die sich nicht gerne zu einem Lied bewegen, auch nicht gerne mitsingen. Für die Lehrkräfte bedeutet dies aber wiederum nicht, dass Kinder deswegen keinen Spaß an dem Lied hätten. Grundsätzlich gilt es, die Kinder nie zum Mitmachen zu zwingen. Das ist für die zukünftige Freude an der Musik nicht hilfreich!

Textinhalt

Ein weiterer Parameter eines Liedes ist der Text. Von Seiten der Lehrkräfte wird hier oft ein großes Augenmerk darauf gelegt, Lerninhalte musikalisch zu verpacken bzw. dass der Liedtext zum Unterrichtsthema passt. Raber hat dazu auch eine Befragung unter PädagogInnen durchgeführt, wo sich herausstellte, dass es neben dem Liedtext noch wichtiger ist, dass der Titel zum Thema passt. Bei Kindern sieht das anders aus.
Den Kindern ist der Textinhalt mehrheitlich egal. Der Text eines Liedes ist für sie eher nebensächlich.
Anders könnte die Bewertung aussehen, wenn es darum ginge, mit der Sprache zu spielen - wenn zum Beispiel Wörter weggelassen werden oder diese durch Geräusche und Bewegungen ersetzt werden. Auch das Verändern der Sprache (z.B. alle Vokale weren auf "o" gesungen) oder ähnliche Sprachspielereien heben den Spaßfaktor eines Liedes - ganz unabhängig vom Stil der Musik, so Rabers Erfahrungen.

Tatsache ist jedenfalls, dass im Musikunterricht der Volksschule die Lieder zu einem sehr großen Teil für eine gesangliche Umsetzung mit den Kindern vorgesehen ist.

Kreativer Umgang mit Sprache

Nachdem für die Kinder der Textinhalt eher nebensächlich zu sein scheint, für das Singen aber irgendeine Art von Text notwendig ist, könnte man den Text aus der Sicht der Kinder einfach nur als inhaltlich bedeutungslose Lautmalerei betrachten, die aber sehr zur Hebung des „Spaßfaktors“ beitragen kann. Der kreative Umgang und das Spielen mit der Sprache macht den Kindern meist großen Spaß, auch wenn es aus Sicht der Kinder inhaltlich meist keine Bedeutung hat - so, wie die Bewegung zur Musik für die Kinder auch keine inhaltliche Bedeutung hat, sondern einfach nur Spaß macht. Darum ist es aus Rabers Sicht auch kein Problem, Lieder in Fremdsprachen mit den Kindern zu singen, weil die Kinder die Sprache einfach ganzheitlich phonetisch nachahmen. Ein von Thomas Raber im Unterricht oft umgesetztes Beispiel dafür ist das Lied „Once an Austrian“. Die Freude am Lied steigert sich dabei vor allem durch die klare rhythmische Struktur, die englische Aussprache (Spiel/Experimentieren mit der Aussprache) und die lustigen Bewegungen, die sich nach jeder Strophe erweitern. Auch das Mitsingen ist hier wichtig. Worum es im Text inhaltlich im Detail geht, ist für die Kinder nebensächlich.


Liederfundkiste

Unter dem Link www.liederfundkiste.at finden Lehrkräfte über die "Notendatenbank" rund 250 frei ausruckbare Lieder. Diese sind nach Alphabet, Autoren oder Themenbereiche geordnet. Neben Sachthemen, Deutsch, Mathematik und "Besondere Anlässe" gibt es auch den Bereich "Bewegungslieder" und "Singen/Kanon". Man kann sich hier auch die "Gesamtausgabe" - also ein gratis Liederbuch für die Grundschule ausdrucken.

Das Besondere an der Liederfundkiste ist auch, dass jedes Lied als Vollversion und als Playback auf einer CD, aber auch als Download (dieses Angebot ist jedoch nicht gratis) erhältlich ist. Manche Lieder sind auch über YouTube frei zugänglich (Suchbegriff Liederfundkiste), so zum Beispiel das Lied „Mama ich lieb‘ dich so“ im Hinblick auf den nahenden Muttertag. Als zweites Beispiel nennt er ein lustiges Bewegungslied, das gleichzeitig eine Form der Sprachschulung sein kann, nämlich das Lied „Österreichisch“: 


 

Gastbeitrag von Thomas Raber. Er ist Musiker, Komponist und Produzent in den Bereichen Pop, Rock, Jazz und Kindermusik. Er ist ausgebildeter Volksschullehrer sowie Musikwissenschafter und ist zur Zeit an der Pädagogischen Hochschule Wien als Lehrender in der Ausbildung für angehende GrundschullehrerInnen und Koordinator für die Fortbildung der Wiener Grundschulen im Bereich Musik und Tanz tätig. Außerdem ist er Inhaber eines eigenen Verlags und Labels und Entwickler und Betreiber der Liederfundkiste.


Thomas Raber wünscht viel Spaß beim Stöbern in der Liederfundkiste und viele kreative Musikstunden mit den Kindern!

Literatur:

  • Cohrdes, Caroline u.a.: „Der Körper als Mediator: Möglichkeiten einer unvermittelten Beschreibung von Musik(-präferenzen) im Grundschulalter“, in: Auhagen, Wolfgang u.a. (Hrsg.), Offenohrigkeit – Ein Postulat im Fokus. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie, Göttingen: Hogrefe Verlag 2014 (Bande 24), S.169-197.
  • Gembris, Heiner u.a.: „Empirische Ansätze. Replikationsstudien bestätigen das Phänomen der Offenohrigkeit im frühen Grundschulalter“, in: Musikpsychologie Bd.24, Göttingen: Hogrefe Verlag 2014, S.100-132.
  • Hargreaves, David J.: „The development of aesthetic reactions to music“, in: Psychology of Music (Special issue), 1982, S.51-54.
  • Louven, Christoph und Ritter, Aileen: „Hargreaves‘ „Offenohrigkeit“-Ein neues, softwarebasiertes Forschungsdesign“, in: Knigge, Jens und Niessen, Anne (Hrsg.): Musikpädagogisches Handeln. Begriffe, Erscheinungsformen, politische Dimensionen, Essen: Die Blaue Eule 2012, S.275-299.
  • Raber, Thomas: Welche Kriterien legen Kinder im Volksschulalter, PädagogInnen und Kinderliedermacher der Beurteilung von Kinderliedern zugrunde?, Masterarbeit Institut Musikwissenschaft der Universität Wien 2016.

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