Das ganz und gar unbedeutende Leben der Charity Tiddler

Charity lebt, wie es sich für ein wohlhabendes Kind/Mädchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört – oder doch nicht ganz. Denn sie interessiert sich für alle möglichen un-mädchenhaften Dinge. Sie lernt Shakespeare auswendig und sie "findet" Maus, Ratte, Igel, Kröte, einen Raben, sie ...

Charity lebt, wie es sich für ein wohlhabendes Kind/Mädchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört – oder doch nicht ganz. Denn sie interessiert sich für alle möglichen un-mädchenhaften Dinge. Sie lernt Shakespeare auswendig und sie "findet" Maus, Ratte, Igel, Kröte, einen Raben, sie päppelt verletzte Vögel auf, sogar ein Kaninchen zieht mit zu ihr ins Kinderzimmer. Da kommt endlich die französische Gouvernante, die Charity Manieren beibringen soll. Charity lernt brav Französisch – und Aquarellmalen, sodass sie ihre Tiere künftighin schön bunt auf Papier bannen kann. (Die Gouvernante verliebt sich in den Deutschlehrer und wird gefeuert.)

Als junges Mädchen legt Charity einen Band mit einer Geschichte von Master Peter vor, der vorm Auge des gestrengen Verlegers King wenig Gnade findet (zu wenig Moral). Charity verlegt selbst, verkauft die 250 Stück – und wird dann (um einen lächerlichen Betrag) doch von Kings Verlag unter Vertrag genommen. Allmählich aber lernt Charity, sich nicht mehr von Männern über den Tisch ziehen zu lassen.

Murail hat das Leben der Beatrix Potter (1866-1943) als Vorlage für ihren hübschen, wenn auch etwas zu umfangreichen Roman genommen. In einer Vielfalt von Erzählformen (ein gerüttelt Maß an dramatisierten Dialogen etwa) zeigt sie die Entwicklung eines neugierigen, an Naturwissenschaften interessierten (ein no-go damals) Mädchens zu einer starken und selbstbewussten Frau. Dabei brillieren nicht nur einige der Nebencharaktere (ein sympathischer Verlegersohn etwa), sondern auch – auf einer anderen Ebene – die Bildbeigaben. Philippe Dumas hat den Roman sehr ansprechend potterisch illustriert, sodass die Zeichnungen manchmal sogar mehr Freude bereiten als der Text. Ein durchaus ungewöhnliches Buch, für das man sich die Zeit nehmen sollte.

Fischer 2011; S. 571

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Veröffentlicht am
01.03.2012
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