Mein Name ist David

Ich habe eine angeborene Sehbehinderung, durch die ich unter anderem vollständig farbenblind und stark blendempfindlich bin. Mein Sehvermögen beträgt 10 Prozent. Als gebürtiger Oberösterreicher absolvierte ich meinen Bildungsweg in Schulen mit Regellehrplan und bin dabei im Laufe der Zeit auf das ein oder andere Hindernis gestoßen, das es zu überwinden galt...

Bild von David Föttinger vor einer Mauer entlang der Straße

In der Volksschule kam es zu Problemen...

Als ich die Volksschule besuchte, kam es zu Problemen mit meiner Klassenlehrerin. Ich wurde als Integrationsschüler geführt und sie hatte Probleme, mich mit meiner Sehbehinderung zu unterrichten. Doch gab es auch positive Erfahrungen in dieser Zeit. Aufgrund der Eigeninitiative meiner damaligen Werklehrerin wurde ich gut gefördert. In der zweiten Klasse lehrte sie mir das Zehnfingersystem und ich arbeitete fortan mit einem Computer im Unterricht. In der Klassengemeinschaft fühlte ich mich nach kurzer Zeit recht wohl und ich lernte Schlagzeug an der Musikschule.

Ich erhielt Unterrichtsmaterial im A3-Format...

Später wurde ich in der Musikhauptschule aufgenommen, dies waren meine vier schönsten Schuljahre. Die LehrerInnen nahmen Rücksicht, es wurde integrativer Unterricht geboten, Unterrichtsmaterial wurde im A3-Format bereitgestellt und zusätzliche Förderstunden wurden für mich arrangiert. Ich habe selbstverständlich mitgearbeitet und gute schulische Leistungen erbracht. Durch das Sonderpädagogische Zentrum Linz habe ich ein Tafel-Kamerasystem bekommen, mit dem ich nur einen Joystick bewegen musste, um dem Unterricht folgen zu können. Das war mir eine große Hilfe. In die Klassengemeinschaft konnte ich mich so gut integrieren, dass Mitschüler*innen oft das Gefühl hatten, ich sei gar nicht "anders als die Anderen". Weil ich in dieser Zeit gute Leistungen erbracht habe, entschloss ich mich, in das Oberstufenrealgymnasium weiterzugehen.

Dort gestaltete sich leider alles etwas anders. Im Vergleich zur Musikhauptschule bekam ich hier deutlich weniger Unterstützung und Förderung durch LehrerInnen und Institutionen. In den ersten beiden Jahren war die Situation für mich besonders belastend: Es war kaum der Fall, dass LehrerInnen die Unterrichtsmaterialien für mich größer kopierten. Wenn sie das vergessen hatten, gaben sie mir den Auftrag, bei meinem Sitznachbarn mitzuschauen. Wenn ich das Lehrmaterial des Nachbarn lesen könnte, würde ich ein größeres Format ja nicht benötigen! Solche Situationen zeigten mir, dass viele einfach keine Vorstellung von meiner Sehbehinderung hatten, selbst nach zahlreichen Gesprächen und einem Sensibilisierungs-Workshop. In meiner Pause sollte ich zum Kopierer am anderen Ende des Schulgebäudes laufen, um den Lernstoff nachzukopieren. Wenn ich dann zu spät in die Klasse zurückkam, warfen mir die LehrerInnen die Verspätung vor. Am Ende musste ich neben dem Grundlernstoff vieles zu Hause nachlernen, weil mir in der Schule die Zeit zu kurz wurde. Manchmal bin ich auch nach Unterrichtsschluss in der Schule geblieben, um meine Unterlagen ordentlich sortieren zu können und um Teile des Lernstoffs nachzuholen. Durch meine Sehschwäche meinten viele Lehrer*innen, ich hätte keine gute Mitarbeit, da ich ganz einfach etwas mehr Zeit benötigte.

Seit ich nicht mehr in der Pflichtschule und vor allem in einer Privatschule war, war kein SPZ mehr zuständig. Zu meinem großen Nachteil wurde mein Tafel-Kamerastativ gegen eine manuell zu bewegende Kamera, die mir die Lehrmittelzentrale freundlicher Weise zur Verfügung gestellt hatte, gewechselt. Damit kam ich leider weniger gut zurecht. Bei diesem Gerät musste ich die Kamera mit meiner Hand steuern, gleichzeitig aber am Computer mitschreiben und den Unterricht mit Aufmerksamkeit verfolgen - Multitasking im großen Stil also.

Die 6. Klasse war für mich unter diesen Bedingungen besonders schwierig: Ich habe aufgegeben und gar nicht mehr gelernt. Von Resilienz keine Spur mehr. Mit einer ganzen Reihe von "Nicht Genügend" hat sich die Frage gestellt, ob und unter welchen Umständen ich diese Schule weiter besuchen kann. Gemeinsam mit meinen Eltern hatten wir eine ehrliche Aussprache mit dem Direktor des ORG gehabt, der verständnisvoll war und seine Unterstützung zugesichert hat.
Danach war es kurzfristig besser. Letztendlich war mir der Druck einfach zu hoch und ich musste kurze Zeit darauf die Schule abbrechen.
Ich war in dieser Schule der einzige Mensch mit Beeinträchtigung. Es hatte zu einem früheren Zeitpunkt eine blinde Schülerin gegeben, die dort sehr erfolgreich war. Mit der wurde ich manchmal verglichen, glaube ich. Das ärgerte mich, da Menschen nicht verglichen werden sollten und unterschiedliche Sehbeeinträchtigungen unterschiedliche Herausforderungen mit sich bringen.

Meine Eltern wollten mich zu einem selbstständigen Jugendlichen erziehen und das hat funktioniert. Dennoch besteht mein Leben mit 10 Prozent Sehvermögen auch aus Vorsicht. Beim Übertritt in eine neue Schule habe ich gemeinsam mit meinen Eltern die neue Schule besichtigt und mir beim Durchgehen einen Raumplan "im Kopf" erstellt, denn räumliche Veränderungen benötigen viel Vorbereitungszeit.

Meine Stärken sah ich schon damals im sozialen und musischen Bereich, denn Schlagzeug-Spielen ist für mich seither einer der wichtigsten Lebensmittelpunkte. Beide Interessensfelder sollten später zu meinem heutigen Berufsleben führen. Nach meinem Schulabbruch stellte ich mich zunächst einer neuen Herausforderung; ich organisierte mir einen Nebenjob als Barkeeper und wartete auf den Beginn des Herbstsemesters, in dem ich meinen Umzug in meine neue Heimat Wien und den Beginn eines Musikproduktionsstudiums plante. Das Studium verlief trotz kleiner Anzeigen auf Mischpulten mit kreativen "Work-Arounds" sehr gut und alle Skripten wurden digital zur Verfügung gestellt.

Schon während dem Studium baute ich mir ein selbstständiges Gewerbe nebenbei auf und kam auch meinen sozialen Interessen durch eine Ausbildung zum Fach-Sozialbetreuer für Menschen mit Behinderungen nach. Parallel zu dieser Ausbildung begann ich bei meinem jetzigen Dienstgeber ein Praktikum, das zu einer Festanstellung schon während der Ausbildungszeit führte.

Mittlerweile fühle ich mich pudelwohl in meiner seit bereits sieben Jahren neuen Wahlheimat Wien. Hier arbeite ich als Berater bei einer durch das Sozialministeriumservice geförderten Initiative zur beruflichen Inklusion von Personen mit Seheinschränkungen. Unser Ziel ist die Erlangung bzw. Erhaltung von Arbeitsplätzen - und das seit mittlerweile über 20 Jahren erfolgreich. Der Job ist vielseitig gestaltet und täglich wartet eine neue Herausforderung. Dabei beraten wir nicht nur ArbeitnehmerInnen, sondern auch ArbeitgeberInnen. In Wien und in meinem Beruf bin ich nicht mehr "der mit der orangenen Brille, der schlecht sieht", wie ich früher oft bezeichnet wurde. Ich habe mir selbst und meinem Heimatort gezeigt, dass eine Einschränkung keineswegs ein Hindernis sein muss - selbst ohne Matura. Letztendlich ist alles genau so gelaufen, wie es laufen sollte. Meine Schul-"Karriere" mitsamt aller Höhen und Tiefen hat mich hierhergebracht und es gibt nichts zu bereuen.

Ich möchte allen danken, die mich auf meinem Weg unterstützt haben, vor allem meinen Eltern und meinen ehemaligen HauptschullehrerInnen. Das vergisst man nicht!

David Föttinger ist gebürtiger Oberösterreicher und absolvierte seinen Bildungsweg in Schulen mit Regellehrplan (inklusive Überwindung einiger Hindernisse). Mittlerweile arbeitet der Wahlwiener als Berater bei einer durch das Sozialministeriumservice geförderten Initiative zur beruflichen Inklusion von Personen mit Seheinschränkungen.