Teil 9: Mentale Emotionsregulation

Jede L hat Emotionen. Neben vielen schönen Momenten und Freuden, die der Beruf mit sich bringt, sind Ärger, Kränkungen und Enttäuschungen auch fester Bestandteil von ihm – und werden es immer sein. Mentale Emotionsregulation zielt darauf ab, diese positiv zu beeinflussen.

Legende: SuS= Schülerinnen und Schüler, S= Schülerin oder Schüler, L= Lehrperson, KG= Kleingruppe

Grafik eines Kopfquerschnitts

Eine der wichtigsten Methoden dazu ist Mentaltraining. Das ist vor allem im Sport – aber auch in immer mehr anderen Berufen – nicht mehr wegzudenken.  Dabei geht es, in Bezug auf den Unterricht, vor allem um zwei für Lehrpersonen zentrale Kompetenzen:

  • Emotionsregulation
  • Einüben von angemessenem Verhalten.

Jeder kann, auch ohne Trainer, von dieser Methode profitieren. Dazu benötigen Sie eine Lernkartei oder eine Art Vokabelheft, wie man sie beim Lernen von Wörtern einer Fremdsprache benutzt.

Mentale Emotionsregulation: Lernkartei anlegen

Zwei Fallbeispiele zeigen Ihnen, wie es geht:

Fallbeispiel Eins:
Schreiben Sie auf die Vorderseite der Karte oder auf die linke Seite im Vokabelheft eine möglicherweise auftretende kritische Situation, also z.B.: „Während des Einübens des Rituals macht ein S provozierende Bemerkungen.“
Auf der Rückseite notieren Sie mögliche Handlungsalternativen, wie z.B.

  • bei leichter Kritik:
    • ich ignoriere es
    • ich ermutige den S, durchzuhalten und sich anzustrengen, also etwa wie ein Coach im Sport.
  • Wenn der S eine sehr unangemessene Bemerkung macht und/oder Zeichen von erheblicher innerer Anspannung zeigt:
    • ich sage zu dem S so laut, dass es alle Umstehenden, die seine Bemerkung gehört haben, auch hören, „ich möchte dich später sprechen“.
    • ich beende das Einüben des Rituals mit einem Feedback an die Klasse, das deren Fortschritte in den Vordergrund rückt, um eine Eskalation mit dem schwierigen S zu umgehen. Zur Klasse sage ich: „Es klappt schon viel besser als beim ersten Üben – das ist prima. Ich weiß, dass ihr es noch besser könnt. Wir üben es morgen noch einmal.“
    • Und wenn es sich um eine ganz schwierige Klasse handelt, könnte sie sagen: „Und morgen habe ich, wenn es richtig gut klappt und ihr das Ritual schon richtig gut schafft, eine Überraschung für euch bereit“. Damit flößt sie ihrer Klasse Energie fürs weitere Üben ein. Die Überraschung soll eine Belohnung sein, die in der Klasse richtig gut ankommt, wie z.B. die L stiftet eine kleine Süßigkeit oder sie sagt dann, „weil ihr unser Ritual so genau eingehalten habt (sie beschreibt dann noch einmal die einzelnen Schritte des Rituals), gibt es bis Morgen ausnahmsweise nur die Hälfte der Hausaufgaben“. Oder, „weil es so gut geklappt hat, erhält jeder einen Hausaufgabenbefreiungsschein“.

Fallbeispiel Zwei:
Schreiben Sie auf die Vorderseite der Karte „ich habe das Ritual jetzt zwei Mal mit meinen SuS geübt, es klappt aber noch nicht“.
Auf der Rückseite notieren Sie mögliche Handlungsalternativen, also z.B.

  • ich übe das Ritual noch ein weiteres Mal und gebe dann ein positives Feedback an meine Klasse. Am Schluss des Feedbacks sage ich in ermutigendem Ton zu meinen SuS, „morgen versuchen wir es noch einmal – ich bin sicher, dass ihr es dann noch besser könnt.
  • ich beende das Einüben des Rituals mit einem Feedback, das die Fortschritte der Klasse in den Vordergrund rückt. Am Schluss des Feedbacks sage ich in ermutigendem Ton zu meinen SuS, „morgen versuchen wir es noch einmal – ich bin sicher, dass ihr es dann noch besser könnt.

So trainieren Sie mit Ihren Karteikarten

Jetzt geht‘s ins Training, der wichtigste Punkt Ihres Mentaltrainings. Entscheidend ist, dass Sie sich beim Üben richtig wohl und entspannt fühlen. Mit der Zeit neutralisiert diese Form des Trainings negative Emotionen, wie sie in bestimmten Situationen eben auftreten.

  • Entspannen Sie sich vor dem Üben. Machen Sie es sich gemütlich. Fühlen Sie sich wohl. Trainieren Sie nur dann, wenn Sie sich richtig gut und entspannt fühlen.
  • Üben Sie unbedingt nur in ganz kleinen Portionen, d.h. pro Trainingssitzung 1 bis 3 Situationen. Beenden Sie Ihr Training nicht erst dann, wenn Sie innerlich schon ein bisschen angespannt und nervös werden, sondern vorher. Also dann, wenn Sie noch richtig gut entspannt sind und sich wohlfühlen.
  • Lesen Sie die kritische Situation auf der Vorderseite in Ruhe durch. Entspannen Sie sich, indem Sie beispielsweise einige Male tief einatmen und vor allem langsam und richtig tief ausatmen. Sie müssen sich nicht unter Druck setzen, denn Sie müssen jetzt nichts erreichen.
  • Versuchen Sie dann sich möglichst in die Situation hineinzuversetzen. Stellen Sie sich die Situation so konkret wie möglich vor. Stellen Sie sich dann vor, wie Sie jetzt professionell handeln. Sie können auch in einer Art Rollenspiel nur mit sich selbst üben, in dem Sie laut vor sich hinsprechen. So üben Sie vor allem Ihre Stimmlage. In Ihrem Training sprechen Sie dann langsam, ruhig und entspannt und in eher tiefem Ton.
  • Üben Sie lieber kürzer und häufiger, also zwei bis drei Mal pro Woche als lang und nur hin und wieder, d.h. im Abstand von mehreren Wochen.
  • Machen Sie sich klar, dass die Umsetzung Ihres Trainings im Klassenzimmer nicht gleich auf  Anhieb perfekt klappt. Das ist normal. Und auch gar nicht nötig. Es ist schon ein großer Schritt in die richtige Richtung, ein klein bisschen gelassener zu reagieren.
  • Achten Sie in Ihrem Klassenzimmer vor allem auf die Situationen, in denen es Ihnen gelingt, schon ein kleines bisschen gelassener zu reagieren. Notieren Sie diese hin und wieder.
  • Sie können sich gerne dafür wertschätzen, dass Sie trainieren und als Lehrperson noch professioneller handeln möchten. Und natürlich für kleine Schritte in die richtige Richtung.
  • Ignorieren Sie Situationen, in denen es Ihnen noch nicht so gut gelingt, wie Sie es sich wünschen. Sehen Sie dies als Zeichen dafür, dass Sie noch nicht ausreichend geübt haben, statt als persönliches Versagen.
  • Berücksichtigen Sie bitte, dass das Einüben neuer Emotionen und neuer Verhaltensweisen kein geradliniger Lernprozess ist, bei dem man sich konstant verbessert, sondern einen phasenartigen Verlauf nimmt. Es gibt also auch immer wieder Zeiten, in denen die Fortschritte stagnieren, z.B. wenn uns andere Herausforderungen belasten. Das ist immer so.
  • Machen Sie sich klar, dass Sie besser werden können, wenn Sie immer wieder entspannt üben.

Liste: „Mentale Emotionsregulation“:

  • Legen Sie sich eine Lernkartei zu, wie man sie zum Vokabeltraining benutzt.
  • Schreiben Sie auf die eine Seite einer Karteikarte eine schwierige Situation, die auftreten könnte.
  • Notieren Sie auf der Rückseite, ganz konkret, mögliche Handlungsoptionen.
  • Üben Sie, wenn Sie sich ruhig und entspannt fühlen.
  • Lesen Sie dazu zunächst die möglicherweise auftretende schwierige Situation.
  • Entspannen Sie sich, in dem Sie z.B. ruhig durchatmen.
  • Gehen Sie dann die Handlungsoptionen, die Sie sich dafür auf der Rückseite der Karte notiert haben, in Ruhe durch. Versuchen Sie diese mit der Zeit auswendig zu lernen.
  • Entspannen Sie sich nun wieder. Trinken Sie einen Schluck Tee, schauen Sie aus dem Fenster, gehen einige Schritte in Ihrer Wohnung spazieren oder tun etwas, das Sie entspannt.
  • Wiederholen Sie das gleiche noch einmal.
  • Wenn Sie möchten, können Sie noch mit einer zweiten Karte üben.
  • Beenden Sie das Üben frühzeitig, also solange Sie sich noch richtig gut fühlen.
  • Trainieren Sie realistisch und machen Sie sich klar, dass Veränderung Zeit, Ruhe und Übung braucht.
  • Trainieren Sie in den nächsten Tagen immer wieder einmal wie oben beschrieben.

Je schwieriger eine Klasse, umso wichtiger ist, dass eine L die Rituale und Routinen mit ihrer Klasse einübt. Kein leichtes Unterfangen. Das nächste Kapitel versetzt Sie in die Lage, diese Herausforderung professionell zu bewältigen.


Christoph Eichhorn ist Schulpsychologe in der Schweiz und Autor zum Thema Classroom-Management. Er arbeitet als Lehrbeauftragter an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und gibt Workshops, Online-Workshops und hält Vorträge zu Classroom-Management.

 

  • Eichhorn, C. (2015): Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta. 8. Aufl.
  • Eichhorn, C., von Suchodoletz, A., (2014): Die Klassenregeln. Guter Unterricht mit Classroom-Management. Klett-Cotta, Stuttgart
  • Stäuble, M. (2015): Dein Weg zur mentalen Stärke: Mentaltraining und Lebensschule für Sportler, Trainer und Betreuer.